Die S-Bahn hielt langsam vor mir an. Endlich waren sie zurück. Ich wartete gespannt am Bahnsteig: Heute war der Prüfungstag meines Lokführer-Lehrlings. Durchs Fenster konnte ich sehen, wie er mit seiner Prüferin das Abschlussgespräch hatte, aber nicht, ob es gut oder schlecht lief. Hatte er bestanden? Da stieg er schon aus dem Zug. Er kam auf mich zu, sah mich an und ich sah seinen Gesichtsausdruck. In dem Moment erinnerte ich mich, was ich ihm die letzten Jahre beigebracht hatte: „Gib immer alles, gerade bei Herausforderungen.” So zu denken, hilft mir bei meinen eigenen Herausforderungen. Ich weiß z. B. noch, wie ich mich zu meinem persönlichen Laufziel hochgearbeitet hatte: einem Halbmarathon in der Eilenriede.
Dafür muss ich aber nochmal ein bisschen Anlauf nehmen ‒ buchstäblich. Denn alles fing auf dem Osterberg in Nienburg an. Damals wollte ich dort eine sechs Kilometer lange Laufstrecke auf mich nehmen. Ich fuhr also mit der S-Bahn nach Nienburg, ging auf den Osterberg und lief dann los. Diese Strecke war damals noch eine Herausforderung für mich. Ich bin sie aber eine Zeit lang immer wieder gelaufen, bis ich mich sicher fit genug fühlte für…
…die Laufstrecke durch das Lohnder Holz in Seelze. Diese war nämlich mein nächstes Ziel. Ich fuhr mit der S-Bahn regelmäßig nach Seelze und lief die acht Kilometer langen Waldwege bis ich das Gefühl hatte, auch diese Strecke draufzuhaben. Irgendwann brauchte ich eine neue Herausforderung:
Eine Laufstrecke rund ums Innerstetal in Hildesheim. Das war eine mittelschwere Strecke, die ca. 14 Kilometer ging. Mit der S-Bahn fuhr ich nach Hildesheim, um die Herausforderung auf mich zu nehmen. Am Anfang fand ich es anstrengend. Mit der Zeit merkte ich aber, wie sich meine Ausdauer immer weiter verbesserte. Bis ich mich dann bereit fühlte.
Der Halbmarathon in der Eilenriede Hannover war bisher meine längste Strecke. Alles lief darauf hinaus: Ich hatte rund um Hannover trainiert, um mitten in Hannover meine ultimative Herausforderung zu meistern. Ich lief also am Döhrener Turm los- und habe es geschafft! Das war das erste Mal, dass ich die ganze 21,0975 Kilometer lange Strecke in der Eilenriede gelaufen war. Ich fühlte mich so fit wie noch nie zuvor. Denn ich habe die Herausforderung gemeistert, weil ich alles gegeben habe!
Mit Disziplin und einem kühlen Kopf kann ich jedes Ziel erreichen. Das habe ich über die Jahre hinweg auch meinen Auszubildenden weitergegeben. Der Theorieunterricht ist für alle Jahrgänge eine große Herausforderung. Hier muss wirklich viel komplexer und technischer Lernstoff über die Fahrzeuge auswendig gelernt werden. Ich halte dann regelmäßig Motivationsreden, die hauptsächlich eine Aussage haben: „Gebt alles.“
Für manche sind die Probefahrten eine ganz besondere Herausforderung. Sie müssen mit der großen Verantwortung und dem Druck umgehen, den sie beim Fahren haben. Denn ein Fehler kann ernste Folgen haben. Ich gebe ihnen dann immer das Gefühl, dass sie es schaffen können.
Und schließlich gibt es diejenigen mit Prüfungsangst. Da hilft nur richtig gute Vorbereitung, alles im Schlaf können. Das hilft gegen jede Nervosität. Und natürlich der Glaube an sich selbst, daran, dass wir im Kurs alles zusammen genau durchgegangen sind und dass es keinen Grund zur Sorge gibt.
Jetzt stieg mein Lehrling aus dem Zug aus. Er kam auf mich zu, sah mich an und ich sah seinen Gesichtsausdruck. Er strahlte mich übers ganze Gesicht an. Er musste kein einziges Wort sagen, denn ich wusste: Er hat alles gegeben und er hat diese Herausforderung gemeistert.
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Ausbildungslokführer bei der S-Bahn Hannover